Kampagneninfo des Bündnisses „Kein Freibrief für Steuerbetrüger“ (pdf hier)
Effektive Bekämpfung von Steuerhinterziehung in Europa: Warum die Ausdehnung der erweiterten EU-Zinsrichtlinie auf die Schweiz erreichbar ist
Die EU-Zinsrichtlinie von 2003
Die gegenwärtige EU-Zinsrichtlinie von 2003
sieht
vor, dass EU-Mitgliedsstaaten sowie einige Drittstaaten sich gegenseitig über
Zinseinkünfte auf Auslandskonten von EU-BürgerInnen informieren (automatischer
Informationsaustausch, AIAT). Während einer Übergangsphase wurde Österreich und
Luxemburg zugestanden, dass sie statt Informationsmitteilungen eine Quellensteuer
von heute 35% auf dieselben Zinseinkünfte erheben dürfen und 75% dieser
Einkünfte dem Wohnsitzland des wirtschaftlich Berechtigten übermitteln.
Diese Übergangslösung endet gemäß Artikel 10 der
EU-Zinsrichtlinie automatisch
,
sobald die EU als ganze mit der Schweiz (und vier anderen Kleinstaaten, die
sich jedoch alle hinter der Schweiz „verstecken“) ein Abkommen über den
Informationsaustausch „auf Ersuchen“ gemäß dem OECD-Standard von 2002
abschließt (sogenannte EU-Betrugsbekämpfungs-abkommen). Bis 2009 war das
unwahrscheinlich. Aufgrund des internationalen Drucks hat die Schweiz 2009
jedoch ihre grundsätzlichen Vorbehalte gegen diesen Standard formal aufgegeben.
Deshalb wäre die Schweiz wohl recht einfach zu einem solchen Abkommen zu
bewegen.
Doch diese Art des Informationsaustauschs „auf Ersuchen“ ist
extrem schwach
.
Im Grunde muss der ersuchende Staat bereits alle Informationen kennen, bevor er
ein aussichtsreiches Informationsgesuch stellen kann. Bis April 2011
blockierten Österreich und Luxemburg im ECOFIN daher die Erteilung eines
Mandats an die EU-Kommission, ein solches Betrugsbekämpfungsabkommen zwischen
der EU und der Schweiz auszuhandeln. Sie befürchteten eine Schlechterstellung, weil
die Schweiz dann „nur“ zum Informationsaustausch „auf Ersuchen“ gemäß dem
2002er OECD-Abkommen mit der EU verpflichtet wäre, während Luxemburg und
Österreich aber den automatischen Austausch gemäß der EU-Richtlinie von 2003
einführen müssten.
Die Überarbeitung der EU-Zinsrichtlinie
Auch die EU-Richtlinie von 2003 weist große Schlupflöcher
auf. So ist es ein leichtes, über die Vorschaltung von Briefkastenfirmen,
Versicherungsmänteln oder Ermessensstiftungen der Erfassung durch die
Richtlinie zu entgehen. Deshalb hat die EU-Kommission 2008 eine überarbeitete
Variante der Zinssteuerrichtlinie vorgestellt
und
bis 2011 verfeinert
.
Diese Variante könnte ein enorm wirkungsvolles Instrument zur effektiven und
gerechten Besteuerung von Kapitaleinkünften und zur Verbrechensbekämpfung
werden. Sie hat das Potential, die wichtigsten Schlupflöcher der alten
Zinsrichtlinie von 2003 zu stopfen.
Der überarbeitete Richtlinien-Entwurf stand schon einige Male
im ECOFIN zur Debatte. Doch weil er nur im Paket zusammen mit der Erteilung
eines Mandats zur Verhandlung eines Betrugsbekämpfungsabkommen mit der Schweiz
behandelt wurde, wurde der Änderungsentwurf von Luxemburg und Österreich mit
blockiert. Bei einem erfolgreichen Abschluss beider Verhandlungen wäre die von
Österreich und Luxemburg befürchtete „Schlechterstellung“ gegenüber der Schweiz
noch größer gewesen: Österreich und Luxemburg wären von der überarbeiteten
Richtlinie betroffen, während die Schweiz „nur“ den Informationsaustausch „auf
Ersuchen“ gemäß OECD 2002 hätte implementieren müssen.
Im April 2011 wurde im ECOFIN eine Lösung dieser Blockade
erarbeitet: Es wurde vereinbart, die Frage der Betrugsbekämpfungsabkommen (und
somit die Frage nach dem Ende der Übergangsfrist für Luxemburg und Österreich)
von der Erweiterung der Zinsrichtlinie zu entkoppeln. Damit könnte ein
Verhandlungsmandat zur Ausdehnung der erweiterten Zinsrichtlinie auf die
Schweiz erteilt werden, ohne dass gleichzeitig oder noch davor ein
Betrugsbekämpfungsabkommen zwischen der EU und der Schweiz verhandelt würde.
Österreich und Luxemburg schienen mit der Lösung einverstanden, weil sie damit
den automatischen Austausch (dann gemäß erweiterter Richtlinie) nur dann
einführen müssten, wenn die Schweiz ebenfalls einem automatischen Austausch
zustimmt.
Warum die bilateralen Abkommen die Überarbeitung der
EU-Zinsrichtlinie sabotieren
Aufgrund der bilateralen Abkommen zwischen der Schweiz und
Deutschland sowie Großbritannien, die eine anonyme Abgeltungssteuer einführen
sollen und an mehreren Stellen behaupten, sie seien dem automatischen Austausch
„gleichwertig“, haben Österreich und Luxemburg im September 2011 jedoch erneut
grundsätzliche Einwände gegen den automatischen Informationsaustausch der
EU-Richtlinie vorgebracht
. Die
beiden Länder hoffen, mit ähnlichen Sonderregelungen einen automatischen
Informationsaustausch doch noch von sich abwenden zu können. Die jüngste
Abstimmung im ECOFIN im Mai 2012 hat gezeigt, dass beide Länder ihre
Kompromissbereitschaft aufgrund der bilateralen Steuerabkommen aufgegeben haben
.
Unterstützt wurden sie dabei zwischenzeitlich von der
deutschen Bundesregierung, auf deren massiven Druck hin die Erteilung eines
Mandats zu Verhandlungen mit der Schweiz im Februar 2012 von der Tagesordnung
des EU-Finanzministerrates gestrichen wurde. Damit wollte die Bundesregierung
die EU-Kommission dazu bewegen, ihre Bedenken gegen das Deutsch-Schweizerische
Steuerabkommen zurückzunehmen. Die bilateralen Abkommen sabotieren also die
Möglichkeit, mit vereinten Kräften aller EU-Länder (inklusive Österreich und
Luxemburg) auf die Schweiz einzuwirken, den automatischen Informationsaustausch
einzuführen.
Handlungsoptionen
Deutschland sollte das bilaterale Abkommen mit der Schweiz
fallen lassen und stattdessen auf EU-Ebene auf Verhandlungen mit der Schweiz
über die Anwendung der überarbeiteten Zinsrichtlinie hinwirken. Bei einem
erfolgreichen Abschluss der Verhandlungen wären Österreich und Luxemburg
ebenfalls zu einer vollen Übernahme des automatischen Informationsaustauschs
nach der erweiterten EU-Zinsrichtlinie verpflichtet.
Zumindest Österreich hatte bereits erklärt, dass das Land im
ECOFIN einem Verhandlungsmandat an die EU-Kommission über die Aufnahme von
Verhandlungen mit der Schweiz und vier anderen Staaten über die Anwendung der
überarbeiteten Zinsrichtlinie zustimmen würde. Vorbedingung ist allerdings,
dass nicht gleichzeitig ein Mandat für ein Betrugsabkommen erteilt wird.
Ablauf:
1.
Deutschland überzeugt seine wichtigen
europäischen Nachbarn davon, dass ihr gemeinsame politische Projekte am Herzen
liegen. Die Weichen für zukünftige, effektive Kapitalertragsbesteuerung in
Europa werden richtig gestellt.
2.
Die Bundesregierung könnte sich entsprechend
ihres innenpolitischen Handlungsspielraums 2012 aktiv um eine Unterzeichnung
des überarbeiteten EU-Zinsabkommens seitens der Schweiz nach Erteilung des
EU-Verhandlungsmandats bemühen.
3.
Die Schweiz kann gemeinsam mit Deutschland,
Österreich und Luxemburg darauf hinwirken, dass die überarbeitete
Zinsrichtlinie die Errichtung von Registern angelsächsischer Trusts umfasst und
sorgt so für eine gleichmäßige Besteuerung in ganz Europa.
4.
Das bilaterale Abgeltungssteuerabkommen verschwindet
leise in der Versenkung.
Stand:
Juli 2012
Das
Kampagnenbündnis „Kein Freibrief für Steuerbetrüger“ wird getragen vom
Kampagnennetzwerk Campact, Tax Justice Network, Attac Deutschland, der
Verdi-Fachgruppe Finanz- und Steuerverwaltung, der Initiative Vermögender für
eine Vermögensabgabe, Medico International und dem Südwind-Institut. Den
Online-Appell der Kampagne haben inzwischen schon über 91.000 Menschen
unterzeichnet: http://www.campact.de/steuer/sn1/signer oder http://www.attac.de/aktuell/steuerflucht/online-aktion.