Holzweg oder Königsweg? Steuerföderalismus in der Diskussion

Gastblog* von Reinhard Kilmer, Verdi
Der Bundesrechnungshof kritisiert ebenso wie die Landesrechnungshöfe den unzureichenden Steuervollzug in den Ländern, da das Interesse am Ausschöpfen eigener Steuerquellen sehr unterschiedlich ausgeprägt ist. Doch die steuerpolitische Verfassungsfolklore ist den Landesfürsten lieb und teuer.

Die Alliierten Hohen Kommissare hätten besser auf ihren Einspruch gegen die Verankerung einer Bundesfinanzverwaltung im Grundgesetz verzichten sollen. Dann müsste man sich heute nicht bei Abstimmungsfragen mit 16 deutschen Steuerbehörden an einen Tisch setzen und sich die Haare raufen.

Während man sich in Brüssel die Haare rauft, reibt sich dagegen die organisierte Kriminalität die Hände. Betrügereien in Milliardenhöhe mit sog. Umsatzsteuerkarussellen können durch unsere beschränkte internationale Handlungsfähigkeit nur unzureichend bekämpft werden. Der Steuerföderalismus hat uns aber auch noch andere Wohltaten beschert. So garantieren uns 16 selbständige Steuerverwaltungen

- ein höchst unterschiedlich ausgeprägtes Interesse an der Ausschöpfung eigener Steuerquellen,
- eine stark divergierende Vollzugs- und Prüfungspraxis,
- Effizienzdefizite durch Abschottung von internationaler Kommunikation,
- dass der Datenaustausch mangels kompatiblem EDV-System immer schön schwerfällig und fehleranfällig bleibt,
- dass die Normenflut im Steuerrecht erhalten bleibt und zumindest bis noch vor kurzem 96.000 steuerliche Verwaltungsvorschriften nur deshalb erlassen wurden, weil gemeinsame Vorschriften nochmals unter eigenem Kopf herausgegeben werden mussten,
- dass 54 Jahre vergehen mussten, bis ein Einkommensteuer-Vordruck aus Bayern auch in Hamburg akzeptiert wurde,
- dass Richtlinien und Verwaltungsregelungen in unzähligen personalintensiven und mühsamen Diskussionsrunden abgestimmt werden müssen,
- dass eine Fallübernahme (durch Wohnsitzverlegung) immer noch ein administratives Abenteuer ist.

Der Oberste Bayrische Rechnungshof stellt in seinem Jahresbericht 2011 dazu fest:
Bayern - Schlaraffenland für Umsatzsteuerbetrüger?
Ein zweistelliger Milliardenbetrag entgeht dem deutschen Fiskus jedes Jahr durch Umsatzsteuerhinterziehung. Der Schaden könnte zumindest begrenzt werden, wenn die Betrugsfälle schnell erkannt und umgehend unterbunden würden. Doch dazu müsste die Steuerverwaltung vor allem ausreichend Personal einsetzen. In Bayern fehlen aber sowohl bei den Umsatzsteuerprüfungsstellen als auch bei den Steuerfahndungsstellen Mitarbeiter; landesweit sind es bis zu 20 % zu wenig. Die ohnehin sehr niedrige Prüfungsquote bei der Umsatzsteuer ist in den letzten Jahren weiter zurückgegangen und liegt 35 % unter dem Bundesdurchschnitt. Auch die erforderlichen IT-Systeme sind nicht voll funktionsfähig oder nicht flächendeckend in Betrieb. Der ORH fordert dringend, die Maßnahmen gegen die Umsatzsteuer-hinterziehung zu intensivieren. Prüfungsdichte, Fallauswahl und IT-Unter-stützung müssen verbessert werden.
Nach wie vor Defizite in der Betriebsnahen Veranlagung (TNr. 19)
Hier braucht keiner vor dem Finanzamt zu zittern!

Statistisch müssen die Kleinstunternehmer in Bayern nur alle hundert Jahre damit rechnen, vom Finanzamt geprüft zu werden. Dieser außerordentlich lange Prüfungsturnus ermutigt viele, die Einkünfte unvollständig zu erklären. Bereits unter dem Gesichtspunkt der Steuergerechtigkeit ist es deshalb dringend notwendig, die Prüfungsdichte deutlich zu erhöhen. Auch sonst müssen punktuell schwierige Sachverhalte verstärkt geprüft werden. Der Staat erleidet durch die unterlassenen Prüfungen erhebliche Einnahmeausfälle, entgehen ihm doch Steuern im zweistelligen Millionenbereich. Der ORH fordert deshalb, endlich mehr Personal für diese Prüfungen einzusetzen, vor allem in den Ballungsräumen. Im Durchschnitt erzielt jeder Prüfer Mehrsteuern von 420.000 €. Um so weniger ist zu verstehen, weshalb das Finanzministerium über 80 Stellen unbesetzt lässt.“
Bereits in seinem Bericht vom 03.08.2006 ist der Bundesrechnungshof deutlich geworden. In der Zusammenfassung wird festgestellt, dass Steuererklärungen häufig nicht ordnungsgemäß geprüft werden. Er verweist dabei auch auf die unterschiedlichen Strukturen in den Finanzämtern. So liegt die Fallzahl je Bearbeiter in den untersuchten Finanzämtern im Arbeitnehmerbereich zwischen 972 und 2.720 Fällen. Des Weiteren wird die unausgewogene personelle Besetzung von Betriebsprüfungsstellen und die notleidende Prüfungsdichte angemahnt.

Die Gründe der strukturellen Mängel liegen nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes im föderalen Steuersystem. Folgerichtig fordert er daher Übertragung der Verwaltungskompetenz bei den Gemeinschaftsteuern von den Ländern auf den Bund durch die Einrichtung einer Bundessteuerverwaltung.

Ein besonderes Highlight im föderativen Verwaltungsdschungel ist das Projekt Fiscus. Der Versuch zum Aufbau eines bundeseinheitlichen Datenverarbeitungssystems für die 700 Finanzämter begann im Kalenderjahr 1992.

Nach dreizehnjährigen Bemühungen von Bund und Ländern und ca. 400 Mio Euro Kosten wurde das Projekt im Jahr 2005 für gescheitert erklärt und versenkt. Streit um die Kostenbeteiligung, eitle Insellösungen und die mangelnde Konsensfähigkeit von 16 Zaunkönigen und ihrem Gefolge führten zu diesem Desaster. Vielleicht hat man deshalb das neu aufgelegte Nachfolgeprojekt mit dem Namen „Konsens“ bedacht.

Ein Gesetzespaket zur Föderalismusreform weckte in den letzten Jahren plötzlich neue Hoffnung. Sollte man bei dieser Gelegenheit wirklich den Versuch unternehmen, die heilige Kuh des Steuerförderalismus zu schlachten ? In den Entwürfen war von Effektivierung der Steuerverwaltung die Rede. Beabsichtigt war die Stärkung der Einflussmöglichkeiten des Bundes durch Änderung des Finanzverwaltungsgesetzes und eine engere Zusammenarbeit mit zielgerichtetem Benchmarking zwischen den Ländern. Doch auch diese zaghaften Ansätze wurden im Rahmen der parlamentarischen Beratungen weggebügelt. Die verstärkte Kompetenz des Bundes ging den Länderfürsten dann doch zu weit.

Es kam noch viel schlimmer. Dem heillosen Chaos in der Finanzverwaltung in den Bereichen Organisation und Automation folgt nun auch noch das Besoldungs- und Bezahlungschaos. Warum soll auch ein Oberinspektor im Saarland unbedingt das gleiche Gehalt wie die Kollegin in Bayern erhalten ? Durch die Verlagerung der Besoldungskompetenz auf die Länder wurde ein neues Fass aufgemacht. Möglicherweise hat man dabei die Reisefreudigkeit von Beschäftigten der Finanzverwaltung unterschätzt. Der Folkloreföderalismus wird jedenfalls durch eine Facette reicher.

Da erinnert man sich gern an den Franzosen Chateaubriand, er hat den Föderalismus kurzerhand als Staatsform der Barbaren bezeichnet.

*Aktualisierte Version eines Beitrags von 2008.

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